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Die Zentralafrikanische Republik, eines der ärmsten Länder, setzt auf Bitcoin und schafft eine eigene digitale Münze. Dahinter stecken massive politische Interessen.
Bangui – Ein Aprilscherz war es nicht – dafür kam die Mitteilung des Präsidenten der Republik Zentralafrika 27 Tage zu spät. In einer mit Rechtschreibfehlern gespickten Erklärung gab Faustin-Archange Touadéra Ende April die Einführung des Bitcoin als offizielle Währung seines Landes bekannt. Auf diese Weise werde „das Schicksal der zentralafrikanischen Bevölkerung revolutioniert“, begründete Touadéra seine internationales Aufsehen erregende Entscheidung: „Unser Land ist das mutigste und weitsichtigste der Welt.“
Tatsächlich hat mit El Salvador bisher nur ein einziger anderer Staat der Welt den Bitcoin als offizielles Zahlungsmittel eingeführt: Zumindest in Afrika ist der Vorstoß des ehemaligen Mathematikprofessors mit zweifachem Doktortitel also einzigartig.
Eigene Kryptowährung: Zentralafrikanische Republik führt neues Zahlungsmittel ein
Wer Touadéras ursprünglicher Mitteilung keinen Glauben schenken wollte, den überraschte der Präsident zwei Monate später mit einem weiteren Coup. Die Zentralafrikanische Republik (ZAR) werde auch ihre eigene Kryptowährung, den Sango Coin, einführen, kündigte der 65-Jährige an. Und schließlich werde auf einer Insel im mächtigen Ubangi-Fluss „Afrikas erster Krypto-Hub“, ein steuerfreies Krypto-Paradies, errichtet.
Was Touadéra nicht erwähnte: Die ZAR wird bei den Vereinten Nationen als zweitärmstes Land der Welt geführt. Die knapp fünf Millionen Einwohner kommen nicht einmal auf ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 500 Euro. Weniger als zehn Prozent der Bevölkerung haben Zugang zum Internet – der Voraussetzung für den Umgang mit digitaler Währung. Vor diesem Hintergrund musste Touadéras Vorstoß klingen wie eine Ankündigung des Fürstentums Liechtenstein, sich eine Marine zuzulegen.
Digitalwährung: Zahlungsmittel, um Söldner zu entlohnen
Dabei ist schon umstritten, ob es sich bei Touadéras Ministerriege überhaupt um eine Regierung handelt. Sie kontrolliert von der Hauptstadt Bangui aus nur einen Bruchteil des Landes: Im ausgedehnten Rest tummeln sich bewaffnete Milizen und Rebellentruppen, die sich gelegentlich auch in Richtung Bangui auf den Weg machen. Vor der Bedrohung sucht sich der Mathematikprofessor mit russischen Söldnern zu schützen: Gegenwärtig sollen sich rund zweitausend Kämpfer der berüchtigten „Wagner-Truppe“ in dem Unruhestaat befinden.
Wohl einer der Gründe für die Bitcoin-Idee: Mit der verschwiegenen Währung lassen sich die russischen Söldner bezahlen, ohne dass es zum Konflikt mit dem vom Westen über Russland verhängten Sanktionsregime kommt.
Im Gegensatz zu Banken und ihrem Swift-System lassen sich Bitcoins nicht kontrollieren: Selbst die Behörden der US-Supermacht vermögen mit Kryptowährung getätigte Transaktionen weder zu verhindern noch zu verfolgen. Über das digitale Zahlungsmittel können auch die mit der Wagner-Truppe verschwisterten und an der Ausbeutung der zentralafrikanischen Gold- und Diamantenminen beteiligten russischen Firmen ihre Gewinne repatriieren: zwei Fliegen auf einen Streich und zwei zu null für den Bitcoin.
Abneigung gegen Frankreich: Kryptowährung soll den Franc ablösen
Als weiterer Beweggrund wird auch Touadéras Antipathie gegenüber der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich angeführt. Paris kontrolliert bis heute zumindest indirekt die bisherige Alleinwährung des Landes, den Zentralafrikanischen Franc (CFA). Sein Kurs ist an den Euro gebunden, die Hälfte ihrer Einlagen müssen die Zentralbanken der sechs am CFA beteiligten Staaten in Paris deponieren. Dass sich Touadéra ausgerechnet von Russen beschützen lässt, wird als gezielter Affront gegen Frankreich betrachtet: Paris und Moskau sind derzeit in mehreren afrikanischen Staaten in einen Konkurrenzkampf um politischen und wirtschaftlichen Einfluss verwickelt. Die Einführung des Bitcoins käme dem Beginn des Abschieds vom CFA gleich, meint der Kryptoexperte Chris Maurice: „Bangui zeigt dem französischen Wirtschaftssystem den Mittelfinger.“ Drei zu null.
GROSSE ARMUT
Die Zentralafrikanische Republik (ZAR) ist ein stark unterentwickeltes und fragiles Land in Zentralafrika. 2020 lag das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf nach Angaben des Internationalen Währungsfonds bei gerade einmal 494 Dollar. Damit gehört die ZAR zu den ärmsten Ländern der Welt. Die rund 4,8 Millionen Menschen haben mit durchschnittlich 52,8 Jahren eine sehr geringe Lebenserwartung.
Hauptexportgüter sind neben Holz Perlen, Edelsteine und Edelmetalle. Ein Großteil des Goldes und der Diamanten wird außer Landes geschmuggelt. Mit den illegalen Einnahmen finanzieren Rebellentruppen und Milizen ihre Waffenkäufe.
Die Regierung will durch die Ausgabe der ersten nationalen Digitalwährung Sango eine Milliarde Dollar einnehmen. Die Markteinführung des Sango ist für den 25. Juli geplant. Mit der digitalen Münze schaffe das Land die Voraussetzungen für eine auf der Blockchain basierte Wirtschaft, heißt es in einem Strategiepapier der Regierung.
Offiziell begründet die Regierung in Bangui ihre Entscheidung natürlich anders. Im Ausland lebende Landeskinder könnten ihre Remissionen an die Daheimgebliebenen so wesentlich schneller und unkomplizierter überweisen, heißt es: Beim elektronischen Bitcoin-Verkehr werden Banken mitsamt ihren Gebühren vermieden. Optimisten sehen den digitalen Zahlungsverkehr als einzigartige Chance für Afrika, wo mehr als die Hälfte der Bevölkerung über kein Bankkonto verfügt. Vor allem in ländlichen Regionen eine Bankfiliale zu finden, ist wie in der Sahara auf eine Oase zu stoßen. Ein in den Augen vieler Menschen hinkender Vergleich, die Banken nicht als Spender eines lebenswichtigen Elixiers, sondern als Zecken betrachten, die sich am finanziellen Blutkreislauf einer Gesellschaft fett fressen.
Zwischen Juli 2020 und Juni 2021 überwiesen Afrikaner über hundert Milliarden US-Dollar in Kryptowährungen, meldet der Fachdienst „Chainanalysis“: Gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung um 1.200 Prozent.
Digitalwährung, aber kein Internet: Fachleute zweifeln
Für Touadéra ist der Bitcoin „die Währung des Volkes“. Tatsächlich verdankt sie ihre Entstehung einem urdemokratischen Impuls – der Rückgabe des Geldmanagements in die Hände des Volkes. Das seit den Fuggern bestehende Bankenwesen wird von unabhängigen Kryptowährungen gnadenlos ausgehebelt: In einem Bitcoin-Staat sind Zentralbanken machtlos – und mit ihnen die Zugriffsmöglichkeiten raffgieriger Machthaber, die sich aus den Schatzkammern ihrer Staaten bedienen. Zumindest der Theorie nach sind Kryptowährungen revolutionär.
In der Praxis sieht es dürftiger aus. Den Launch des Sango Coin musste Präsident Touadéra in Dubai zelebrieren: Für den feierlichen Stapellauf hätten die digitalen Kapazitäten in seiner Heimat nicht ausgereicht. In der Zentralafrikanischen Republik lassen sich zwar Gold und Diamanten, aber keine Bitcoins „schürfen“: Die zur Herstellung von digitalen Münzen nötige Prozessorleistung und Internet-Bandbreite gibt es am Ubangi-Fluss so wenig wie Liegestühle.
Ob es jemals dazu kommt, wird in der Fachwelt bezweifelt. Dort verweist man auf das Beispiel El Salvador, wo die anfängliche Begeisterung über den Bitcoin-Coup bald der Ernüchterung wich. Das im vergangenen Jahr lancierte und für den Umgang mit Bitcoin nötige Anwendungsprogramm Chivo Wallet werde nach einem kurzen Boom inzwischen so gut wie nicht mehr heruntergeladen, weiß Kryptoexperte Ganesh Viswanath-Natraj von der englischen Warwick-Universität: 86 Prozent der salvadorischen Geschäftsleute haben noch keine einzige Transaktion mit dem Chivo Wallet getätigt. Die Gründe dafür sind kein Geheimnis: Der Bincoin hat sich vor allem seiner Instabilität wegen als untaugliches Zahlungsmittel erwiesen.
Riskantes Zahlungsmittel: Extrem schwankender Kurs bei Cyberwährungen
Innerhalb eines Jahrzehnts schwankte der Wert der Cyber-Münze zwischen einem Euro im Februar 2011 und mehr als 60.000 Euro im November 2021. Immer wieder erlebt der Bitcoin innerhalb weniger Stunden Abstürze um bis zu zehn Prozent, ein Alptraum für jeden Warenhändler. Dass das digitale Jo-Jo als Zahlungsmittel ungeeignet ist, musste selbst Kryptofan Elon Musk einsehen: Der Tesla-Chef widerrief im Mai des vergangenen Jahres die Akzeptanz der Kryptowährung durch sein Unternehmen, die er zwei Monate zuvor herausposaunt hatte.
Andere afrikanische Trümmerstaaten haben deshalb andere Wege eingeschlagen, um ihre gescheiterten Währungen zu ersetzen. In Simbabwe will Autokrat Emmerson Mnangagwa Goldmünzen einführen, weil keiner dem unzählige Male abgewerteten, ausrangierten und dann wieder eingeführten simbabwischen Dollar mehr traut. Seit seiner Freigabe vor einem knappen halben Jahrhundert hat sich der Goldpreis gerade mal verzehnfacht – und nicht wie der Bitcoin in lediglich zehn Jahren versechzigtausendfacht (um dann wieder auf ein Drittel seines Rekordwerts abzustürzen).
Republik Zentralafrika: Eigene Kryptowährung bleibt wohl Zukunftsfantasie
Weniger riskant ist es, die Kryptodukaten an die eigene Währung zu knüpfen und weiterhin von der Zentralbank kontrollieren zu lassen, was in verschiedenen afrikanischen Staaten auch ausprobiert wird. Der nigerianische eNaira oder der ugandische eCedi sollen es den Westafrikanern bald erlauben, ihre Überweisungen bankenlos übers Internet zu tätigen: Ein Hybrid zwischen verrunzelten Banknoten und wegrevolutioniertem Bankenwesen. Da die Kontrolle über den Wert des Geldes jedoch weiterhin der Staatsbank vorbehalten bleibt, hat das mit einer „Krypto“-Währung nichts mehr zu tun.
In Wirklichkeit wird der Bitcoin derzeit auch in Afrika höchstens als Spielgeld abenteuerlustiger Zocker oder als Geheimgeld für Rauschgifthändler, Waffenschieber und afrikanische Möchtegernherrscher benutzt. Dass sich das irgendwann ändert, wagt US-Ökonom Paul Krugman zu bezweifeln: Der Digitaldukaten sei eine „in Techno-Mystizismus und libertäre Ideologie verpackte Blase“, urteilt der Nobelpreisträger. Eine Schimäre, deren Glanz früher oder später verblasst. (Johannes Dieterich)
Author: Jason Ortega
Last Updated: 1697935441
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